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Wer ist hier der Boss? Warum wir ohne Chefs effizienter arbeiten

Seit mehreren Jahren bewegen wir uns hin zu einem evolutionären Unternehmen. Unsere Geschäftsführer sind nach eigenen Aussagen keine Chefs mehr, es gibt kaum Kontrolle und keinen Plan – dafür umso mehr Vertrauen und die Ermutigung zur Selbstorganisation und zur guten Zusammenarbeit. 

Was bedeutet das für die Arbeitsrealität? Lohnt sich das wirtschaftlich überhaupt? Im Gespräch mit Geschäftsführer Robert Birker und Organisationsentwickler Timo Wirth gehen wir diesen Fragen auf den Grund.

Wer ist der Boss: Geschäftsführer Robert Birker (l.) oder Teammitglied Timo Wirth?

1. interactive tools hat zwei Geschäftsführer, aber keine "Chefs". Wie ist das zu verstehen?

Robert: Wir möchten, dass unsere Mitarbeiter aktiv die Agentur mitgestalten. Mein Geschäftspartner Klaus und ich wollen nicht immer alles bestimmen und kontrollieren müssen. Wir glauben daran, dass nicht nur Gutes entsteht, wenn wir alles kontrollieren. Also haben wir uns von dem klassischen Chefgedanken verabschiedet. Unsere Chefrolle ist hoffentlich nur noch symbolisch.

Timo: Das heißt nicht, dass die Agentur ungeführt ist. Wir haben weder Chaos noch Führungsvakuum. Was wir haben ist Zusammenarbeiten in selbstorganisierten Teams mit geteilter Verantwortung. 

„Unsere Chefrolle ist hoffentlich nur noch symbolisch.“Robert Birker

2. Also gibt es keine Hierarchien?

Robert: Nein und doch. Es gibt kaum noch strukturelle Hierarchien über Positionen. Es gibt allerdings natürliche Hierarchien über Kompetenz – diese sind nicht starr, sondern wechseln innerhalb des Teams je nach Situation. Dadurch entsteht geteilte und gemeinsame Verantwortung. Klassische Führungsrollen sind bei uns obsolet – es ist immer Teamarbeit unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erfahrungen der Einzelnen. 

3. Können Mitarbeiter*innen bei euch Karriere machen?

Timo: Wir haben keinen klassischen Karriereweg mehr anzubieten.
Es sollte nicht darum gehen, welchen Titel ich demnächst auf meine Visitenkarte drucken lasse oder welche Ziele ich erfüllen muss, um aufsteigen zu dürfen.
Sondern: Es geht um persönliches Wachstum und fachliche Weiterbildung – intrinsisch motiviert und ausgehend von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

4. Wie habt ihr es geschafft diese Entwicklung zu vollziehen?

Robert: Wir schaffen das immer noch. Wir arbeiten seit einigen Jahren daran und werden immer weiter daran arbeiten. Es wird wohl keinen Punkt geben, an dem wir sagen: Jetzt sind wir perfekt.
Es sind viele kleine Schritte. Wichtig ist zum Beispiel unsere Fehlerkultur. Wir wünschen, dass sich die Mitarbeiter*innen engagieren und Mut haben, Dinge auszuprobieren. Ausprobieren heißt aber auch, dass Fehler gemacht werden. Diese Fehler müssen dann nur erkannt werden und aus denen muss man lernen.

Timo: Das hat mit Loslassen und Zulassen zutun. Das ist nicht einfach, auch mal loszulassen und abzuwarten und zuzusehen und zu merken es gibt verschiedene Wege, Dinge richtig zu machen.
Wir rollen Dinge auch nicht auf das komplette Unternehmen von oben aus. Wir probieren in Projektteams Sachen aus – das macht es schneller. Und wenn das gut funktioniert, dann ist gut. Und wenn nicht, kann man daraus lernen und das ist dann auch nicht schlimm.

5. Was für ein Mindset ist das?

Timo: Statt Unternehmensphilosophiepowerpointpräsentationen oder komplizierte Prozesscharts haben wir in der Agentur große Poster zu Themen, wie:

  • Wie wollen wir zusammenarbeiten.
  • Menschsein.
  • Wie wollen wir Entscheidungen treffen.
  • Woran wir glauben.

Da steht dann wiederum sowas drauf, wie: „Wir glauben an Menschen und nicht an Rollen und Visitenkarten.“

Robert: Und diesen Ansatz erweitern wir mittlerweile auch auf Kund*innen. Wir haben viele Kunden, die das sehr wertschätzen, dass sie mit uns arbeiten können und offener und entspannter arbeiten können als vielleicht bei sich im Unternehmen.

Timo: Noch ergänzend: Begeisterung für Vielfalt und Zusammenspiel im Team, das ist uns wichtig, dass jeder Mensch sein darf. Das klingt für manche vielleicht erstmal esoterisch, ist es aber nicht. Niemand muss sich oder anderen etwas beweisen. Niemand muss sich profilieren. Und niemand wird durch bestimmte Erwartungen oder Rollenzuschreibungen unter Druck gesetzt. 

Zusammenarbeit bei interactive tools
„Begeisterung für Vielfalt und Zusammenspiel im Team, das ist uns wichtig, dass jeder Mensch sein darf.“Timo Wirth
interactive tools Werte

6. Was macht ihr mit den besonders engagierten Mitarbeiter*innen – den High-Performern? Und wie motiviert ihr die, die weniger mitmachen?

Robert: Was wir mit besonders engagierten Mitarbeitern machen? Gar nichts. Es gibt keine Belohnung und keine Benachteiligung. Wir geben den Freiraum selbst Entscheidungen zu treffen.

Timo: Dieses Belohnungs- und Antreibungsmodell haben wir nicht mehr. Was wir haben, ist Raum – ein inspirierender und vor allem sicherer Raum für alle.
Niemand muss Angst haben, Fehler zu machen, Zweifel zu äußern oder Ideen voranzutreiben. Egal welche Position oder wie viel Erfahrung.

Robert: Ein Kollege hat das ganz gut auf den Punkt gebracht.
Er meinte: „Ich muss nicht zur Bestleistung motiviert werden. Kein Chef und kein Kunde, kann mehr von mir verlangen, als ich von mir selbst.“
Abgesehen davon, motivieren sich die Teammitglieder aber auch untereinander. Es haben ja alle das gleiche Ziel, Dinge besser zu machen und gut zusammen zu arbeiten. 

„Es gibt keine Belohnung und keine Benachteiligung. Wir geben den Freiraum selbst Entscheidungen zu treffen.“Robert Birker

7. Erstreckt sich dieser Freiraum auch auf andere Gebiete? Arbeitszeiten beispielsweise?

Robert: Teilzeit ist für uns kein Problem, sondern eine Situation, mit der wir selbstverständlich umgehen. 40 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten bei uns in Teilzeit aus ganz unterschiedlichen Gründen mit unterschiedlichen Modellen. Und niemand sollte großartig Überstunden machen müssen. Im Gegenteil, wir wünschen uns, dass keine Überstunden gemacht werden. Ich hatte allerdings nie das Gefühl, dass unsere „Human Ressources“ dadurch weniger wert sind.

8. Bringt das denn alles was für das Unternehmen? Arbeitet ihr jetzt effizienter oder lukrativer?

Robert: Bei manchen Unternehmen geht es bei so einem Prozess vielleicht um Profitabilität oder Wirtschaftlichkeit. Das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Aber es ist ein positiver Nebeneffekt.
Nach dem ersten Jahr, das war sehr intensiv, da hat die Wirtschaftlichkeit der Agentur auch unter dieser Entwicklung gelitten. Aber seit zwei Jahren sehen wir, dass wir auch wirtschaftlich besser agieren. Die Projekte werden zielgerichteter abgearbeitet und man kommuniziert durch agiles Arbeiten auch anders mit den Kunden, weil man sinnvoll arbeitet und nicht an vermeintlichen Zielen festhält.
Und dann haben wir die Bürokratie reduziert. Weil das Team auch entscheidet wie es Sachen machen will. Durch die wenige Kontrolle werden wir konkreter.

Timo: Kontrolle und Vorgaben sind immer teurer als Freiraum, Zulassen und Vertrauen.
Das gilt für die Gesamtorganisation wie für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter.

„Die Projekte werden zielgerichteter abgearbeitet und man kommuniziert durch agiles Arbeiten auch anders mit den Kunden.“Robert Birker

9. Wenn es nicht ums Geld ging, warum habt ihr das alles überhaupt gemacht?

Robert: Wir waren lange eine kleinere Agentur. Es gab dann irgendwann einen Sprung von 30 auf 60 Mitarbeiter, da haben wir festgestellt, dass wir uns über die Organisation des Unternehmens konkret Gedanken machen müssen. Vorher hatten wir das Gefühl, es ist ein selbstorganisierter gesunder Organismus.
Dann hatten wir Berater, die meinten, wir müssen Führungsstruktur und mittleres Management aufbauen. Das Ergebnis, das wir da erreicht hatten, fühlte sich nicht gut an. Wir stellten fest, das macht keinen Spaß mehr.

Früher haben wir zu zwölft gemeinsam an einem Tisch gesessen und das Weihnachtsfest geplant. Alle gemeinsam. Vor drei Jahren meinte mein Partner Klaus: „Es wäre schön, diesen Spirit wieder hier zu haben“.
Was müssen wir also tun, um da wieder hinzukommen – allerdings nun mit 60 Mitarbeiter*innen?

So fing es an. Mittlerweile müsste der Tisch 100 Plätze haben, aber der Spirit ist wieder da. Und den Tisch gibt es in einem Besprechungsraum immer noch.

Was können wir für Sie tun?

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